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Der italienische Messerschmied

News & Stories — 26. Oktober 2019
von Matthias Kanter
Unser diesjährige Urlaub mit den Kindern führte uns nach Umbrien. Ein heißer Sommer in kleinen Städten, die jeden Vorwand für ein Stadtfest nutzten, brachten mir ein neues Italienbild jenseits der Metropolen, die ich kannte.

In so einem kleinen sonnendurchfluteten Städtchen, fein an die Hänge eines weitsichtbaren Berges gebaut, entdeckten wir einen Schmied.


In einer spektakulären Kulisse, die wir nur noch aus Museen kennen, arbeitet ein kräftiger Kerl an den Schärfaufträgen der Umgebung und seinen eigenen feinen Messern. Die sahen auf den ersten Blick wie historische restaurierte Taschenmesser aus.


Der kleine Schaukasten mit 10 Modellen verführte mich zur Frage nach ihrem Preis, weil ich so individuelle Messer lange nicht gesehen hatte.
Unsere Favoriten lagen über 200 Euro, aber ein mehrsprachiger Freund des Schmiedes, der gerade vorbei kam, begegnete unserem Blick mit einer umfangreichen Beschreibung der Besonderheiten dieser Messer und ihres Fertigungsaufwandes, als wären sie uns zu teuer erschienen.


Zumindestens wussten wir jetzt, dass alle Messer eigentlich nur Muster des immer lachenden Schmiedes waren, um Kunden für eine spezielle Einzelanfertigung zu gewinnen.
Es waren seine Mustermesser .


Tage danach fanden wir eine alte Machete in einem eingebrochenen Haus.
Mit allen Hausmitteln versuchten wir das Metall aufzuarbeiten bis uns der Schmied einfiel.


Zurück bei ihm wurde am darauffolgenden Tag aus unserer rostigen Machete ein glänzendes Gartenmesser, dass feine Papierstreifen schneiden konnte und wohl aus sehr gutem Stahl bestand.
Die komplette Aufarbeitung kostete 5 Euro.


Meine Söhne schwankten sehr, ob sie es dumm finden sollten, solch eine Arbeit für so wenig Geld zu erledigen oder sich zu wundern, warum er dabei so gut gelaunt war.


Auf alle Fälle begann jetzt die Suche nach weiteren Dingen, die man dann zum Schärfen bringen konnte. Antikläden, Flohmärkte und einige Trödler später hatten wir schon mehrere scharfe Messer, Rosen und Haushaltsscheren und auch einen tieferen Einblick in die nötigen Arbeitsgänge zu ihrer "Wiedergeburt."


Der Schmied war zum Urlaubshighlight geworden und wurde noch freundlicher, wenn wir in die Werkstatt kamen.


Der kleine Messerkasten wurde bei jedem Besuch bewundert und auch für die Jungs wurden die Messer immer mehr ihren Preis wert.


Vielleicht habe ich meinen großen Sohn etwas mit einer Geschichte aus meiner Jugend manipuliert, als ich in den Ferien 8 Tage für mein Traummesser  gearbeitet hatte, dass mich bis heute begleitet und das unser Schmied auch wunderbar überarbeit hat für seine Pauschale von 5 Euro.


Er wollte es mir nachtun und seine erste Ferienjobeinnahme am Urlaubsende genau für ein Messer aus dem Kästchen ausgeben.
Der Schmied war gerührt und lies es sich nicht nehmen durch einen kräftigen Rabatt diese Begeisterung zu unterstützen. 


Die Geschichte wäre rund, wenn jede Stadt noch ihren Schmied hätte.
Dass selbst Kinder nach nur wenigen Tagen begreifen, dass gute Handarbeit begeistern kann und scheinbar hohe Preise mehr als gerechtfertigt erscheinen, ist im Zeitalter globaler Warenströme viel zu selten möglich.
Nur so kann aber eine eigene Einsicht in Produktion entstehen und der so ersehnte "Sondermüll" mit Markenzeichen relativiert.


Stellen Sie sich vor, Ihr Kind schwankt zwischen einem Paar Turnschuhe und dem tollen Taschenmesser zum ähnlichen Preis.
Bei uns war es gerade so.


Als Entscheidungshilfe nutzen Sie Ihren Urlaub, um beide Herstellungsprozesse zu besuchen. Die Ausmalung dieser Reise überlasse ich Ihrer Phantasie.


Dass es heute in unseren Städten keinen Schmied mehr gibt, aber relativ viele Geschäfte für Turnschuhe, hängt auch mit der" Unsichtbarmachung des Elends" der Produktion zusammen. Leicht akzeptieren wir mehr als das Zehnfache des Produktionspreises für Kleidung und Elektronik oder fast Alles was es im Westen zu kaufen gibt.


Wird ein gutes Produkt gut und fair bei uns hergestellt, sind wir schnell über den Preis empört. So haben wir genau die Warenwelt, die wir verdienen oder müssen gemeinsam lernen, was meine Söhne in einem Urlaub begriffen haben.


Sie haben sich übrigens unterschiedlich entschieden.
Den einen sehe ich ab und zu versonnen mit seinem Messer im Zwiegespräch. Der andere hat "die" Turnschuhe zwar noch an, aber nach den Sommerferien hat die fleißige Marketingabteilung längst das nächste Modell als "Must have" lanciert. Am Ende geht es  hier um den Unterschied zwischen  Glück und Unglück und nicht nur für den Produzenten.

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